von Constantin Gröhn
Gut 150 Besucher*innen machten am 5. Juli die Hauptkirche St. Katharinen zu einem Ort des Nachdenkens und Tanzens. Eine Kooperation des KDA mit der Kirchengemeinde, unterstützt von der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg. Unter der spektakulären Gaia-Installation wurde aus apokalyptischer Stimmung eine Party für die Hoffnung.
Video-Trailer zum Event auf YouTube
Musik und Klimakrise: https://musik-und-klimakrise.de/
Die Erde zu Gast in der Kirche
Eine halbe Stunde vor Beginn strömten die ersten Besucher*innen herein. Sie ließen sich in die Sitzsäcke fallen, den Blick nach oben gerichtet, wo zwischen gotischen Säulen Luke Jarrams leuchtende Erde ihre stillen Kreise zog. Sphärische Klänge füllten den Raum wie Weihrauch aus Synthesizern, während Kirchenvorsteher Martin Kramer noch die letzte Lichttechnik rund um das DJ-Pult anschloss.
„Oooh, es ist echt schön“, hörte man. Menschen schauten mit offenem Mund zu der Nachbildung ihrer eigenen Heimat auf, als sähen sie sie zum ersten Mal. Die 7x7 Meter große Erdkugel drehte sich träge.
Ann-Kathrin Brenke, Pastorin von St. Katharinen, führte in die Gaia-Installation und das Thema des Abends ein. Sie erinnerte daran, dass biblische Apokalypse immer auch einen Appell zur Umkehr beinhaltet.
Constantin Gröhn, KDA-Referent und Initiator der Veranstaltungsreihe „DJs for Change“, moderierte anschließend die Künstler*innen an und führte in das Konzept ein: „Der Weg zur Hoffnung führt über das Ernstnehmen all dessen, was sie überlagert: Das Zynische, die Verdrängung, Angst, Wut und Trauer.“ Musik schaffe Raum für diese Erfahrungen.
Drei Songs zum Weltuntergang – Nachdenkliche Reflexionen
Knarf Rellöm: Mietenuntergang und Halsbandsittich
Den Auftakt machte Knarf Rellöm mit Songs von musikalischen Weggefährt*innen. Zu „Wenn ich ein Turnschuh wäre“ von den Goldenen Zitronen stellte er die provokante Frage: „Wie kann es sein, dass es leichter für einen Turnschuh ist, unsere Grenzen zu überqueren, als für Geflüchtete?“
„Der grüne Halsbandsittich“ von Bernadette La Hengst entpuppte sich als raffinierte Parabel über Klimagerechtigkeit: Gewinner und Verlierer des Klimawandels sprechen aus der Vogelperspektive. Der grüne Halsbandsittich, ursprünglich Gefangener in ‚überheizten Zimmern‘, nun befreit durch die Erderwärmung - wird zum zynischen Profiteur.
Als dritten Song spielte Knarf Rellöm den Dub-Remix von seinem Song „Die Mieten sind zu hoch“ – und rief erstmals zum Tanzen auf. Der Song zählt in der Originalversion Städte rund um den Globus auf: München, Hamburg, Tokyo, New York, London, Zürich... Ein „Mietenuntergang“ auf der ganzen Welt, der zeigt: Wohnungsnot als globale Krise, die Menschen überall bedroht. Ironisch entspannt der Sound dazu: Relax.
Marc Pendzich: Wir sind Erde
Marc Pendzich brachte die begonnene Klima- und Aussterbekatastrophe auf den Punkt: „Wir verbrauchen drei Erden, wo nur eine ist: Wir müssen mit einem Drittel des bisher beanspruchten auskommen. Das geht nur mit einer neuen Lebensweise.“ Mit Gundermanns Lied „Halte durch“ richtete er einen eindringlichen Appell an „Mutter Erde“, die durchhalten solle, wenn es irgendwie geht.
Im Songtext heißt es dazu, dass das Abendland „auf die Fresse“ bekommen müsse, bis es wieder lernt ‚Bitte‘ zu sagen. Pendzich verknüpfte dies mit seinem Bekenntnis „Wir sind Erde“ – einem Manifest für ein suffizientes, d. h. global gerechtes Leben innerhalb der planetaren Grenzen. Anohnis „4 Degrees“ zeigte dann die volle emotionale Wucht der Erderhitzung – die hypnotischen Lyrics mit der Aussage „Four Degrees means ‚I wanna see this world … boil, I wanna see the animals die in the trees‘“ bewegten so sehr, dass das Tanzen buchstäblich in den Beinen stecken blieb. Dota Kehrs „Raketenstart“ mit der Musk’schen Fantasie einer Marsbesiedelung rundete Marc Pendzichs Beitrag ab, in dem ein weiteres Mal klar wurde, das es keinen „Planeten B“ gibt und wir Menschen eine Schicksalsgemeinschaft sind, die die Dinge hier, auf dieser einzigen wunderbaren Oase inmitten unbelebter Sterne zu regeln hat.
Frau Kraushaar: Vom Beziehungsuntergang zu neuen Denkräumen
Frau Kraushaar kartographierte die Übergänge zwischen privaten und planetaren Katastrophen. ‚Abschied‘ von Das Bierbeben wurde zur Anatomie eines Beziehungsuntergangs: „Es riecht nach Goodbye Darling / Und nach langer Nacht / Es riecht nach Magenschmerzen“ – hier wird Verlust zur Physiologie, Liebeskummer zu einer Krankheit der Sinne, die riecht und schmerzt.
Brian Enos 'This River' führte diese Melancholie ins Kosmische: “Here we are, stuck by this river / underneath the sky that's ever falling down”. Ein Himmel, der in Zeitlupe kollabiert – Metapher für unsere klimatische Gegenwart, in der wir bewegungslos zusehen, wie sich die Lebensbedingungen zentimeterweise verschlechtern.
Der Übergang zur Utopie geschah über Schafe. In ihrem Stück ‚Maeh‘ brachte sie Tierfabeln mit Deleuze'scher Philosophie in Verbindung: „Ein gutes Wort ist nie verschenkt – nicht nur bei Schafen, sondern überall“. Eine fast pastorale Weisheit, aber vom Kapitalismus befreit – denn „ein gutes Schaf gibt es nicht für Geld“. Aus der Apokalypse der Beziehungen und des Klimas wuchsen so neue Denkräume: zärtlich, tierisch, unverkäuflich.
Tierarztpraxis DJ Costa: Die Maschine als Spiegel
Als zehnter Song folgte eine Selbstbetrachtung des Gastgebers: Constantin Gröhn alias Tierarztpraxis DJ Costa konfrontierte sich mit seinem digitalen Pendant. Ein mit Musikalgorithmen komponierter Track wurde zur Reflexion über die Apokalypse des Kreativen – jenen Moment, in dem die Maschine zum Zerrspiegel der eigenen Unzulänglichkeiten wird.
„Meinen eigenen Dämonen standen alle Türen offen: Unsicherheit traf Perfektionismus, um mich in endlosen Möglichkeiten zu verlieren.“ Was als persönliche Erfahrung erzählt wurde, entpuppte sich dabei auch als Diagnose unserer Zeit: eine Gesellschaft, die zwischen unendlichen Optionen erstarrt, während die Entscheidung für das Leben – ‚Wählt das Leben!‘ – als Gefühl und Ausrichtung immer wieder abhanden kommt.
Der Track, eine Collage aus aktuellen Nachrichtentexten und Bibelversen, spiegelte musikalisch diese Fragmentierung wider.
Vom Zerrspiegel zum Tanz
Nach den nachdenklichen Song-Präsentationen markierten die DJ-Sets einen deutlichen Stimmungswechsel. Mit der Zeit wurde die Atmosphäre sehr tanzend, lebendig – ein faszinierender Kontrast zur technoiden Musik, der die Kirche in euphorische Bewegung versetzte. Musik von teils tragisch früh verstorbenen Produzenten wurde zum Tanz des Lebens angesichts des Todes.
„Es tut gut, auch einfach nur hier zu sein“, sagten zwei Frauen am Ende, als wieder Ambient den Raum erfüllte. Ein Besucher fasste die Bandbreite des Abends zusammen: „Entspannt, aufwühlend, dystopisch und hoffnungsvoll.""
Apokalypse als Ausgangspunkt: Unter Luke Jarrams leuchtender Erde wurde apokalyptische Stimmung zum kreativen Ursprung anderer Welten. Die Kombination aus Reflexion und Euphorie bewies: Man kann gleichzeitig über Weltuntergang nachdenken und für die Hoffnung tanzen.